Taxi Driver – Mit Tom Reiterer durch die Stadt

Tom Reiterer ist 44, lenkt sein halbes Leben lang Autos durch die Straßen von Graz. JO|HANNS hat ihn einen Abend begleitet.

Mai 19, 2021

Der weiße Toyota Prius hält fast lautlos vor dem Grazer Kunsthaus, er ist der einzige Wagen in der Straße, die anderen sind mit der letzten Grünphase der Ampel Richtung Süden verschwunden. Das Taxischild am Dach des Hybriden leuchtet matt gelb, ähnlich wie der Uhrturm im fernen Hintergrund. Im Wageninneren ist es angenehm warm, der Fahrer dreht das Radio leiser. 

Lieber Prius als Benz
Tom Reiterer ist 44, lenkt sein halbes Leben lang Autos durch die Straßen von Graz. Begonnen hat er seine Laufbahn 1998 auf einem 124er E-Klasse-Benz. Nach zwei weiteren Mercedes, einem Skoda Superb, einem Ford Mondeo, einem Ford Galaxy und einem Jaguar X-Type schwört er heute auf Toyota Prius Hybrid. „Am bequemsten für eine zwölfstündige Taxischicht war definitiv der 210er Mercedes“, erzählt Tom. „Ledersitze, riesiger Fußraum, wie eine gepolsterte Badewanne. Restwärme für die Stehzeit und 10-fach CD-Wechsler.“ Doch was die Zuverlässigkeit und das Preis-Leistungs-Verhältnis betrifft, käme keiner an den Prius heran. „Quasi null Wartungskosten, kaum Verschleiß, so gut wie nie in der Werkstatt.“ Seinen ersten eigenen Prius hat der Grazer von seinem damaligen Chef übernommen, um sich damit selbständig zu machen. „Mit 280.000 Kilometern auf der Uhr habe ich den Japaner bekommen und drei Jahre später mit 440.000 Kilometern weiterverkauft, ohne wirklich viel an Geld abzulegen.“ Seit 2019 verbringt Tom seine Dienstzeit in einem neuen Prius. „Bisher musste ich zweimal Kennzeichenbeleuchtung tauschen und Reifen wechseln. That‘s it. Keine Bremsbeläge, keine Keilriemen. Und ich kenne kein anderes benzinbetriebenes Fahrzeug mit 5 Litern Verbrauch im Stadtverkehr.“

USA-Tournee und Jus-Studium
Tom Reiterer kennt sich nicht nur bei Autos aus. „Vielleicht ist meine Laufbahn die des klassischen Taxilenkers“, lacht der 44-Jährige. „Ich bin Musiker. Und Studienabbrecher.“ Nach dem Akademischen Gymnasium folgten zwei Jahre Maschinenbau an der TU. Daraufhin Wechsel auf die Karl-Franzens-Uni, um Jus zu studieren. „Das habe ich dann auch sieben Jahre lang getan, um schließlich doch abzubrechen.“ Während dieser Zeit war der Steirer als Pfadfinderführer aktiv. „Und seit ich 15 bin, hatte ich auch immer eine Band. In meiner Studienzeit war ich mit meiner damaligen Combo „Lamexcuse“ auf Tour, sogar bis in die USA hatten wir es geschafft, und die Konzentration auf Taxi und Musik war sehr motivierend. Nach der USA-Tour zerbrach das Bandgefüge und ich suchte neue Musiker für das bis heute bestehende Projekt „Coinflip Cutie“, mit dem ich nach wie vor aktiv bin und meinen Traum, als Musiker erfolgreich zu sein, weiterverfolge.“

#oesterreichstaximussleben

Auf dem Armaturenbrett vor dem Beifahrersitz klebt ein Sticker mit dem Namen von Toms Band, am Heck des Wagens einer mit dem Schriftzug #oesterreichstaximussleben. „Eine Aktion der gewerblich tätigen Taxifahrer gegen Ausbeutung durch App-Dienste wie Uber, Bolt und Co.“, erklärt Tom. Seit vielen Jahren hört man in den Medien von Mietwagentaxis, die über Apps zu buchen sind und die zuerst in amerikanischen Großstädten, seit langem aber auch in Europa und in Österreich Taxiunternehmen mit Dumpingpreisen vertreiben. „Die Betreiber der Apps zahlen keine Gewerbeabgaben, weil jeder ohne Prüfung mit diesen Autos fahren darf“, klagt Tom Reiterer. „Diese Firmen, oft im Ausland gemeldet, zahlen keine Nebenkosten, kaum Steuern, bewegen sich in rechtlichen Grauzonen. Die fahren so billig, dass sie bewusst Minus machen, um reguläre Taxis vom Markt zu fegen.“ Tom, der sich selbst mal als taxifahrenden Musiker, mal als musizierenden Taxifahrer sieht, erzählt: „Diese Firmen beuten ihre Fahrer aus. Ich weiß von einer Bude in Wien, da leben vier Uber-Fahrer in einem Zweibettzimmer. Zwei fahren tagsüber, die anderen in der Nacht, geschlafen wird abwechselnd in denselben Betten.“

Fixkosten und Corona
Tom biegt in eine der breiten Hauptstraßen ein, wechselt mehrmals die Spur, sucht sich gekonnt seine Ideallinie im abendlichen Stadtverkehr. „Der Kunde“, so Reiterer, „weiß oft nicht, was er mit seiner Taxe unterstützt, wenn er mit Uber fährt.“ Qualität habe eben ihren Preis, sagt der Musiker mit Studienerfahrung im technischen und juristischen Bereich. „Wer ein Haus baut, lässt die Arbeit von einem Fachmann ausführen. Und ein Wirt kann sein Gulasch nicht um 70 Cent verkaufen, weil er seine Miete zahlen muss, seine Angestellten, all seine Steuern und Abgaben.“ Tom lenkt seinen Prius wie auf Schienen über eine Kreuzung und erzählt: „Mit Leasingrate, Sozial- und Rechtsschutzversicherung, Garagenplatz, Funkgebühr und anderen Kleinigkeiten habe ich monatliche Fixkosten von weit über tausend Euro. Und da wurde das Auto noch nicht einmal gestartet.“ Mit dem Ausbruch von Corona habe es bei der Taxizentrale, für die Reiterer fährt, von einem Tag auf den anderen statt 400 nur mehr 100 Fahrzeuge gegeben, das Geschäft sei sogar um ganze 95 Prozent eingebrochen. 

Derzeit belaste jede einzelne Maßnahme gerade die Taxibranche ganz besonders, sagt Reiterer. „Ohne Tourismus, Businessreisekunden, Flug- und Busverkehr, Sport- und Kulturveranstaltungen, private Feiern, Kirtage, Studentenfeste und normale Gastronomie sitzen wir auf dem Trockenen.“ An einer roten Ampel zeigt er auf das Armaturenbrett seines Toyota und sagt: „Uns Taxlern wird vorgeworfen, veraltete Technologie zu verwenden, alte Autos zu fahren und keine Ahnung von ihrem Job zu haben. Das Gegenteil ist der Fall! Fast alle Autos sind neu, mit GPS, Datenfunk und allem Firlefanz ausgerüstet, und auch was Apps betrifft, ist die Branche durchaus gut aufgestellt.“ Nach einer kurzen Pause fügt er hinzu: „Es wird kaum jemand von seinen Kunden so sehr von oben behandelt wie wir Taxifahrer. Wie soll ein Berufsstand geschätzt werden, wenn schon der einzelne Fahrer nicht geschätzt wird.“ Die Hoffnungen von Tom Reiterer und seinen Kollegen für die Zukunft des Taxigewerbes ruhe derzeit auf einer baldigen Einigung der Verkehrslandesrätin mit der Wirtschaftskammer über einen Tarif und die Bestimmung eines Mindestpreis, der nicht unterschritten werden dürfe, um wirtschaftliches Arbeiten zu ermöglichen. „Die schrittweise Einführung des neuen Gelegenheitsverkehrsgesetzes macht das nötig“, sagt Tom.

Wenige wirkliche Abenteuer 
Während der Wartezeit an einem Taxistandplatz liest Reiterer Presseartikel auf seinem Handy. Weil in der Corona-Zeit der Dienst notgedrungen um 2 Uhr Früh endet, zu einer Stunde also, zu der in normalen Zeiten das Geschäft erst richtig los ging, wird Toms Biorhythmus sich erneut umstellen müssen, sobald wieder alles wie gewohnt läuft. Kollegen von Tom, die am Parkplatz neben ihren Fahrzeugen stehen und rauchen, erzählen von betrunkenen Fahrgästen, von Frauen, die ihre Fahrt mit Liebesdiensten bezahlen wollten, von Autopannen mit Kunden an Bord, von Geburten im Taxiwagen und von einer Überfallserie vor ein paar Jahren. Aber alles in allem sei das Taxifahren kein sehr aufregender Job, sind sie sich einig. Sergej, ein knapp 60-jähriger Weißrusse, fährt seit 1984 in Graz Taxi. Die wirklich abenteuerlichen Erlebnisse könne er an einer Hand abzählen. „In den 80er- und 90er-Jahren bin ich viel mit Prostituierten gefahren“, erzählt er. „Damals gab es noch den Straßenstrich, da war es traurig zuzuschauen, wie ein Mädchen nach dem anderen immer mehr verfallen ist. Die sind in Zeitraffertempo gealtert, und irgendwann waren sie alle weg.“

Coinflip Cutie und Prius
Tom wartet auf den nächsten Kunden. Auf seine Erfahrungen mit anderen Autofahrern angesprochen, erzählt er lachend davon, irgendwann vielleicht eine Facebook-Seite mit einem Ranking der schlechtesten Fahrer zu erstellen. „Opel-Fahrer führen meine persönliche Liste mit großem Abstand an. Und je kleiner der Opel, umso mehr Verkehrshindernis.“ In 22 Jahren im Straßenverkehr habe er schon so manches gesehen, aber die Lust am Fahren und seine treuen Stammkunden seien jeden kleinen Ärger und jede schlaflose Dienstnacht wert. Via Funk nimmt der Gitarrist, Sänger und Taxi Driver einen neuen Auftrag entgegen. Der Toyota Prius mit dem „Coinflip Cutie“-Sticker am Armaturenbrett rollt davon. Nahezu lautlos. Irgendwo hin, auf irgendeine beleuchtete Hauptstraße, in irgendeine dunkle Seitengasse von Graz. Etliche hunderttausend Kilometer wohl noch.

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