Von Samira J. Frauwallner
„Hier sind wir einmal unter uns und können es ehrlich aussprechen: Wir wollen das alles nicht mehr hören. Wörter wie „Corona“, „Pandemie“ oder „Lockdown“. Corona ist zu großen Teilen erfundene Panikmache. Und sowieso: Ist man gegen etwas und hinterfragt man etwas, wird man sofort Verschwörungstheoretiker genannt. Möchte man für seine Freiheit demonstrieren, wird man mit Nazis über einen Kamm geschoren, als „Corona-Leugner“, „Wutbürger“ abgestempelt und diffamiert. Und wer brockt uns das alles ein? Die da oben. Die Elite. Und die Lügenpresse fördert das. Die haben sich gegen uns verschworen. Aber wir sind keine Schlaf-Schafe, wir sind Querdenker. Wir lassen uns das alles nicht gefallen, denn wir sind dem auf die Schliche gekommen.
„Weil es nie eine Pandemie gegeben hat!“
Moment. Bevor Sie den vorhergehenden Absatz als das Geschwurbel schräger Mitbürger abtun, oder falls Sie sich gar zu der Gruppierung der Querdenker zählen, sei vorab eines gesagt: Ihre Meinung spricht Ihnen niemand ab. Eine Demokratie steht für Meinungsfreiheit, bietet Platz für unterschiedliche Weltanschauungen.
Kritisch wird es allerdings, wenn verschwörungsnahe Annahmen und Theorien in riesigen Demonstrationen enden, in denen Hippies mit Rechtsextremen marschieren und unter dem gemeinsamen Nenner COVID-19 rechtes Gedankengut verharmlosen. Zumeist spricht man bei Ideologien, wie sie dort meist vertreten werden, von Verschwörungstheorien. Die sind Corona sei „Dank“ wieder salonfähig geworden. Die Zahl derjenigen, die an sie glauben, nimmt sprunghaft zu, und so ist der Begriff fester Bestandteil des alltäglichen Diskurses.
Wie kommt’s? Und warum zählt man sich freiwillig zu Gruppierungen wie „Qanon“, „Corona-Leugnern“ und Querdenkern?
Komplexe Welt
Einfach gesagt: Ist die Welt komplex und überfordernd, versucht unser Gehirn, sie zu vereinfachen. Es findet Muster, fügt sie zusammen und, im Falle vieler selbsternannter Wissenschaftler, findet selbst Erklärungen. Wir wollen Ordnung ins Chaos bringen und Schuldige für unsere Probleme haben.
Komplexe Ereignisse wie Corona bringen so schädliche und irreführende Verschwörungstheorien hervor, die in erster Linie übers Internet verbreitet werden. In den Verschwörungsglauben treiben dort vor allem Unsicherheit und Machtlosigkeit.

Ein klares Täterbild erhöht die Attraktivität einer Theorie: Der Grund des Übels sind in etwa „die Elite“, „die Regierung“ oder „die Schlaf-Schafe“, also jene Mitbürger, die einer Verschwörung noch nicht auf die Schliche gekommen und somit noch „Teil des perfiden Plans einer größeren Macht-Gruppierung“ sind.
Magie des Zusammenhalts
Die Magie einer Verschwörungstheorie entsteht meist auch durch die große Zahl der Anhänger, die dahinter stehen und sich in ihren Vermutungen einig sind. Etwas, wonach sich viele Menschen sehnen: Nach Komfort und Gleichgesinnten. Wer sich zusammentut, kann sich als Gruppe gegen Kritik abschirmen. Wer einer Verschwörung auf die Schliche kommt, ist „erwacht“ und nicht länger blind für die „Machenschaften der Eliten“.
Das wiederum ist auch eine Bestätigung der eigenen Identität. Es gibt „Querdenkern“ das Gefühl, dazuzugehören und einzigartig, auserwählt zu sein.

Unterschied zwischen Wissenschaft und Annahme
Sobald ein Wissenschaftler nicht nur Daten sammelt, sondern Hypothesen bildet, die sich allmählich zu Theorien kristallisieren, kann er dem Verschwörungstheoretiker vermeintlich sehr ähnlich sein.
Psychologen, Soziologen und (Medien-)Wissenschaftler raten aber dringend dazu, Verschwörungstheorien nicht mit wissenschaftlichen Theorien in einen Topf zu werfen. In Abgrenzung zu Verschwörungstheorien folgen wissenschaftliche Theorien nämlich einer kritischen und argumentativen Auseinandersetzung unter Experten und den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit und der Logik.
Sie verbannen Widersprüche aus ihren Formulierungen und weisen Daten oder Quellen vor, die theoretische Überlegungen bestätigen oder widerlegen können.

So schön es sein kann, Teil einer Gruppe zu sein, so sehr können die darin vertretenen Verschwörungstheorien anderen schaden: Sie richten sich oft diskriminierend gegen ganze Gruppen, die als Ursache für eine echte oder vermeintliche Bedrohung wahrgenommen werden. Sie polarisieren die Gesellschaft, schüren gewalttätigen Extremismus und ermöglichen Hassverbrechen. Sie hinterfragen den Staat nicht nur, sondern sie untergraben gänzlich das Vertrauen in ihn‚ was zu politischer Apathie oder problematischer Radikalisierung führen kann.
Sie höhlen aber vor allem das Vertrauen in wissenschaftliche und medizinische Informationen aus‚ was schwerwiegende Folgen haben kann. Und sie können dafür sorgen, dass Menschen völlig unterschiedlicher Weltanschauungen einen gemeinsamen Nenner finden.
So demonstrieren hier bunt bemalte Impf-Gegner friedlich neben Rechtsextremen und sorgen mit diesen Demonstrationen dafür, dass nicht nur Verbindendes entsteht, sondern mitunter ein Aufschwung brandgefährlichen Gedankenguts möglich und salontauglich gemacht wird.
Was ist dem auf Verständigung und Frieden Bedachten lieber als eine Annäherung gegnerischer gesellschaftlicher Gruppen? Austausch war in der Geschichte immer wieder die Basis von Fortschritt und Entwicklung. Weil ein Zusammenschluss von verschiedenen Weltanschauungen zum Zwecke des Widerstandes gegen ein gemeinsames Feindbild aber auch zu verhärteten Fronten und zu unsinnigen Weltbildern führen kann, darf überlegt werden, ob ein Miteinander von Links und Rechts hier wirklich im Sinne von Kommunikation und Entwicklung geschieht.